Meine persönliche Geschichte im Buch "Lebensschlenker"
„Der größte Schmerz kommt aus der tiefsten Sehnsucht.“
Von Mareike Fell
Ich bin Mutter zweier Kinder und systemische Einzel-, Paar- und Familienberaterin. Ich arbeite in meiner eigenen Praxis sowie an einem großen Institut und bin Gesellschafterin einer Stiftung, die neben der mentalen Gesundheit von Jugendlichen auch die der Eltern im Blick hat. In meiner Arbeit schaue ich besonders auf die Mütter, denn sie tragen – Stand heute – in der Regel das System. Geht es ihnen gut, geht es den Kindern gut. Ich wünschte nur, mir hätte das vorher mal jemand gesagt, damals als ich Mutter geworden bin.
Dies ist meine Geschichte. Wenn ich auf mein Leben blicke, teilt es sich in zwei Leben, die scheinbar wenig miteinander gemein haben. Es gab ein Leben vor den Kindern und eins danach. Nova begleitet mich durch beide Leben.
In meinem ersten Leben war ich eine gut beschäftigte Schauspielerin mit viel Freude an der Arbeit, hatte Freizeit, Freiheit, Geld und ein buntes Partyleben. Es war perfekt! Deswegen habe ich auch immer gesagt, dass ich zwar auf jeden Fall zwei Kinder haben möchte, aber „die laufen dann bitte so mit“. Die Idee hat mir gut gefallen. Meine Mutter würde in Frührente gehen und mich dabei unterstützen, beruflich möglichst keinen einzigen Tag auszufallen. Die Kinder würden einfach überall hin mitkommen und mein Leben bereichern. Meine Freiheit würde ihre Freiheit sein, ganz cool. Lässig. Eben so wie die Mütter, die als cool und lässig galten. Was für ein Ideal! Das Ideal der Karriere-Super-Mom. Dass ich genau deswegen riesige Probleme haben könnte mit der Mutterschaft kam mir gar nicht in den Sinn.
Irgendwann kamen dann meine Kinder, 2008 meine Tochter, 2009 mein Sohn, meine Mutter reichte wie geplant Frührente ein und begleitete mich, wenn ich abends auf Veranstaltungen unterwegs war, auf denen ich versuchte, an mein altes Leben anzuknüpfen. Jedem und seinem Bruder, wie auch mir selbst erzählte ich, dass alles super läuft! Trotzdem war ich heimlich immer froh, wenn ich nach einem Casting eine Absage bekam … Dann kam eine Anfrage aus Berlin, durchgehende Serie für sechs Monate, ohne Casting. Ich sagte ab.
An dem Tag wusste ich, dass es einfach nicht mehr ging. Für mich jedenfalls nicht. Ich kündigte meinem Management – und stand beruflich vor dem Nichts. Aber mich hatte dieses „ich mache alles wie immer“-Ding völlig überfordert! Ich verstand überhaupt nicht wieso. Die anderen Mütter schafften das doch auch?
Heute weiß ich, dass ich damals über ein anderes Ideal gestolpert bin, das noch stärker und offensichtlich DNA-gleich unbewusst in mir wirkte – nicht das der Karriere-Super-Mom, sondern das der Mom-Super-Mom: Die Mom-Super-Mom ist super geduldig mit den Kindern und der Haushalt geht ihr leicht von der Hand – sie kann sogar kochen! Ich nicht… Einen Beruf hat sie natürlich auch – der läuft bei ihr aber so nebenbei mit. Was sie wirklich erfüllt und beseelt, ist ihre Aufgabe als Mutter. Das zeigt sich durch ihre Hingabe, Sanftheit und das Zurücknehmen ihrer eigenen Bedürfnisse. Ihre Bedürfnisse sind eigentlich die der Kinder, oder so ähnlich. Ich war das jedenfalls nicht.
Ich habe weder dem einen Bild entsprochen noch dem anderen (wer tut das schon!). Und ehrlicherweise kann ich meine verquere Sicht auf das Muttersein nicht mal auf die Gesellschaft schieben. Das wäre zu einfach. Dafür brauchte ich tatsächlich niemanden, das habe ich schon selbst geschafft: Als Scheidungskind, groß geworden bei einer alleinerziehenden Mutter mit kaum finanzieller Unterstützung des Kindsvaters, die viel gearbeitet hat und wenig präsent war, wollte ich meinen Kindern doch so gerne die perfekte Familie bieten.
Aber als Scheidungskind, groß geworden bei einer alleinerziehenden Mutter mit kaum finanzieller Unterstützung des Kindsvaters, die viel gearbeitet hat und wenig präsent war, wollte ich unbedingt auch finanziell unabhängig bleiben und auf keinen Fall meine Karriere und damit meine Unabhängigkeit aufgeben.
Irgendwo dazwischen haben sich wohl ganz heimlich diese – zugegeben völlig plakativen – Ideale ausgebildet. Ganz unreflektiert konnten sie unterbewusst wirken.
In meiner heutigen Arbeit mit Müttern ist genau die Grätsche zwischen diesen beiden Polen fast immer das Thema, aus dem so viel Leid entsteht. Ich bin da keine Ausnahme: Ein schier unerreichbares Ideal als Mutter, gepaart mit dem schier unerreichbaren Ideal als Frau mit Kindern finanziell unabhängig zu bleiben.
Und hier kommt die Gesellschaft nun doch ins Spiel. Denn der Rahmen für die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie ist heute leider immer noch nicht gegeben. Kinder sollten aber nicht das Ende der Karriere bedeuten. Es sollte nicht um das Entweder-oder sondern um das Sowohl-als-auch gehen! Auch im Sinne der Kinder, denn wenn die Mutter glücklich und zufrieden ist, sind es auch die Kinder. Und die Arbeit ist oft der Bereich, der vom Leben vor den Kindern bleibt und auf ganz andere Weise erfüllt als das Muttersein. Zudem hilft die Arbeit, dass sich eine Mutter auf Augenhöhe mit dem anderen Elternteil fühlen kann. In beide Richtungen zentral für eine ausgeglichene Partnerschaft.
Wir Mütter gestalten unsere Gesellschaft genau wie alle mit und so kommt mir immer wieder in den Sinn, dass wir es der Gesellschaft vielleicht auch einfach noch zu leicht machen, das System nicht zu verändern. Es besteht auf der „anderen Seite" einfach (noch) kein Veränderungsdruck, solange wir zwar über dieses Problem reden, es aber keine wirklichen Konsequenzen für unsere Gesellschaft hat. Erst wenn das Problem der Mütter ein Problem für die Gesellschaft als Ganzes wird, wird diese vermutlich bereit sein für eine wirkliche Veränderung. Aber das ist ein anderes Thema.
Zurück zu meiner Geschichte und ihren Folgen: Mit meinem hehren Anspruch an mich als Mutter und Karrierefrau, also den zwei sich widersprechenden Idealen, landete ich nach und nach im klassischen Mutter-Burnout: Zu vielen körperlichen Symptomen kam durch den chronischen Schlafmangel starke Dünnhäutigkeit und Gereiztheit, was zu einer Minderwertigkeit als Mutter, Schuldgefühlen und einer tiefen Traurigkeit führte, da ich „es“ (was bitte genau?) offensichtlich nicht konnte. Ich hatte eine schwere Depression entwickelt. Das Schlimmste war, dass ich die Liebe zu meinen Kindern nicht mehr spüren konnte – ein typisches Symptom, wie ich heute weiß.
Nach außen habe ich das in der Zeit, wie so viele junge Mütter, gut versteckt. Niemand hat etwas mitbekommen. Nur Nova sagt rückblickend, dass sie einfach nicht mehr an mich ran kam. Ich habe mich mehr und mehr zurück gezogen und schließlich den Kontakt abgebrochen. Nach schier unendlichen vier Jahren wurde bei mir Hashimoto diagnostiziert, eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse. Mit entsprechenden Schilddrüsenmedikamenten war innerhalb von wenigen Wochen eine deutliche Besserung zu spüren und der ganz große Spuk der Depression vorbei.
Die eigentliche mentale Arbeit lag dennoch noch vor mir, denn letztlich haben diese Ideale, denen ich verfallen war und die mich krank gemacht haben, mir und vor allem meinen Kindern die doch so wichtigen ersten Jahre gestohlen. Später habe ich oft meine Mutter und andere, mit denen ich in dieser dunklen Zeit Kontakt hatte, gefragt, was ich denn für eine Mutter war. Ich habe kaum Erinnerungen an die Zeit. Es ist der blinde Fleck in meinem Leben, meine dunkelsten Jahre und es macht mich unendlich traurig, noch heute, dass mich niemand gesehen hat. Aber wie auch, da ich meine Not ja versteckt hielt hinter einer Fassade von Fröhlichkeit und heiler Welt.
Ich bin traurig, dass ich mir nicht viel früher Hilfe bei einer Person geholt habe, die mir die Erlaubnis gegeben hätte, einfach nur das zu geben, was ich kann. Die mir gesagt hätte, dass es normal ist, diese Mutterliebe nicht 24/7 zu spüren, sondern auch mal andere Gefühle wie Wut, Ohnmacht und Überforderung. Ohne dass es bedeutet, dass man seine Kinder nicht liebt.
Ich hätte jemanden gebraucht, der mir sagt, dass es gut und sogar wichtig ist, für mich zu sorgen und genau hinzuschauen, was ich dafür brauche. Eine Person, die mir sagt, dass meine Kinder nicht so schnell kaputt gehen und wie wichtig es ist, dass ich auf mich achte, körperlich wie seelisch, da meine Kinder existenziell abhängig davon sind, dass es mir gut geht.
Ich hätte gebraucht, dass mir jemand auch etwas über Abgrenzung und damit über das Sichtbar-machen der eigenen Grenzen und Bedürfnisse beigebracht hätte – innerhalb meiner Beziehung aber auch gegenüber den Meinungen von außen, der Gesellschaft, und in meinem Inneren gegenüber diesen schrägen Idealen. Um zu erkennen, dass ich Hilfe brauche und um sie mir dann auch zu holen, brauche ich aber das Bewusstsein für diese Zusammenhänge von Idealen und Werten und das eigene Leben.
Mein Leid war so groß, die Erkenntnis so hart und der Fall so tief, dass daraus der tiefe Wunsch entstand, anderen Müttern auf ihrem Weg zu helfen. Es wurde auch mein Weg der Heilung. Dass mein heutiger Beruf mich mehr erfüllen würde als alles davor, konnte ich vorher nicht wissen.
Heute habe ich eine gesunde Distanz zu meinem Ideal als Mutter. Ich bin so eben nicht. Ich bin genau die Mutter, die ich bin. Weil ich komme, woher ich komme. Ich übernehme die Verantwortung dafür, wenn meinen Kindern dadurch etwas fehlt, aber ich belaste sie nicht mit Schuldgefühlen, weil ich unter irgendeinem Ideal leide. Denn genau das würde meine Kinder empfinden, wenn es mir dann nicht gut geht.
So kann ich sicherlich auch wegen meiner Geschichte die kraftvolle Begleitung sein, die ich für andere Mütter bin. Auch meinen Kindern gegenüber kann ich heute ehrlich und echt genau die Mutter sein, die ich bin. Dabei reden wir oft über diese dunkle Zeit, denn sie gehört zu unserer Geschichte dazu. Und ich warne sie davor, einem Ideal hinterherzulaufen: Ein Ideal kann und darf eine Orientierung sein, es darf aber nicht zum Fixstern werden. Der ganze Trick bei der Mutterschaft ist doch, möglichst viel aus dem Leben vor den Kindern mitzunehmen in das Leben mit den Kindern (das gilt auch für die Paarebene) und die Kinder in das eigene Leben zu integrieren – nicht anders herum.
Dann passiert das Wunderbare: Indem ich den Müttern, die zu mir kommen (und auch mir selbst), die Erlaubnis gebe, echt und auch mal hilflos und gar nicht ideal zu sein, kommen sie, genau wie ich selbst heute, dem eigentlichen Ideal, dem sie versuchen zu entsprechen, tatsächlich näher als je zuvor. Denn diese Mutter ist im Ergebnis eine entspannte Mutter. Und entspannt, mit mir, den Kindern und den Herausforderungen – genau das wollte ich immer sein. Verrückt, oder?
Mareike Fell ist systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin, in eigener Praxis „die Sinnstiftung“ als auch an einem großen Institut. Als Gesellschafterin der Fürstenberg Foundation setzt sie sich für die mentale Gesundheit von Jugendlichen und ihren Eltern ein. Sie ist Mutter zweier Kinder und lebt in Hamburg.
Auszug aus dem Buch "Lebensschlenker" von Nova Meierhenrich, erschienen 2025 im Ullsteinverlag